Die Division hat keine großen Schlachten geschlagen. Der Wehrmachtsbericht fand selten
unsere Taten erwähnenswert, wir unsere wundgelaufenen Fußsohlen und durchgescheuerten
Schultern umso mehr. Die 118. Jägerdivision wurde im Mai 1943 im Schwefelbad Ilidža bei
Sarajewo aus der Taufe gehoben. Genau an meinem 18. Geburtstag. Kein gutes Omen.
Nicht nur, weil Schwefel nach Hölle stinkt. In Sarajewo wurden auch der österreichische
Thronfolger und seine ebenso unschuldige Gemahlin ermordet. Von dort ab waren auch wir
keinen Augenblick unseres Lebens mehr sicher. Hinter jedem Felsblock, jedem Baumstamm
konnte ein Heckenschütze lauern. Dort war kein ferner Geschützdonner zu hören, der einen
Frontverlauf verriet, sodaß sich einer auf die Verteidigung hätte einrichten können.
Ade, ritterliche Kriegsführung bei offenem Visier! Sarajewo liegt
am Rande des Abendlandes. Hier ist die Welle der Reitervölker zum Stillstand gekommen,
die seit der frühesten Völkerwanderung aus dem fernsten Osten gegen Europa immer wieder
einmal anbrandete, und die gelbe Flut hat sich in den Schluchten des Balkans verlaufen.
Von damals der Brauch, die Köpfe der getöteten Feinde auf Pfahlspitzen zu rammen.
In der Königsstadt Cetinje, Montenegro, ist das noch gar nicht so lange her. Diesmal aber
hatte es den ärgsten Feind Montenegros, den Wesir von Skutari, erwischt.
Das abgeschlagene Haupt liegt dort heute noch im Kloster.
Wir alle waren zum Abschuß freigegeben und durften als Gefangene nicht auf Pardon
hoffen. Das kreischende "heidi-napred!" der Flintenweiber, die damit ihr Mordgesindel
zum nächtlichen Angriff vorantrieben, blieb für immer im Ohr - und der Anblick
geschändeter Verwundeter auch. Massengräber gibt es nicht erst seit dem letzten
Bürgerkrieg. Es war nur niemals opportun nach dem letzten Krieg, an die in Bosnien
niedergemetzelten verwundeten deutschen Soldaten zu erinnern. Es ist sicher auch jetzt
noch nicht opportun, die UNO-Soldaten zu belächeln, die glauben, dort Ordnung schaffen zu
können - von jenen im Irak, in Afghanistan und wo noch überall gar nicht zu reden.
Tito hatte seine Anhänger unter dem roten Sowjetstern in diesen sogenannten
Volksbefreiungskampf getrieben. Erfreut darüber, halfen ihm Russen und Engländer
nach Kräften. Als ich lange nach dem Krieg Tito einmal im Fernsehen sah, fuhr er mit
stolzer Brust im strahlend weißen Mercedes durch Zagreb. Ganz klar, jetzt hatte er den
Krieg wirklich gewonnen. Sein Volk aber sagt heute: Das hat uns 40 Jahre Kommunismus
eingebracht und uns ebenso weit in der Entwicklung zurückgeworfen. Vom Verlust an
Menschenleben gar nicht zu reden.
Genau zwei Jahre nach Sarajewo war alles vorüber. In Eibiswald, am Fuße der Koralpe
in der südlichen Steiermark, trennten sich die übriggebliebenen 9000 Mann von ihren
Waffen, und zogen nach Hause, als wären sie gerade aus einem bösen Traum erwacht. Die
Zahl der zurückgelassenen Toten kenne ich nicht. Bei einem Divisionstreffen Mitte der
Fünfzigerjahre in Innsbruck war immer noch nichts über das Schicksal von 950 Vermißten
bekannt. Dazu gehörten viele Namen vom Divisionsstab, aber auch nahezu 200 aus den
rückwärtigen Diensten, die an ihren isolierten Standorten feigen überfällen am leichtesten
zum Opfer fielen.
Nicht zurück kam auch unser Divisionskommandeur Generalleutnant
Josef Kübler und sein Vorgänger, GL Fortner. Das zuständige englische Armeekorps hatte sie
nach Kriegsende an Tito zum Erschießen ausgeliefert, weil dieser es so wollte. Auch Stalin
durfte seinen Blutrausch stillen. Die nach Kärnten geflohene Befreiungsarmee General
Wlassows, die seit 1941 auf deutscher Seite gegen die Sowjetunion mitgekämpft hatte, wurde
von denselben britischen Militärs den Henkern in der Lubjanka ausgeliefert oder dem
sicheren Tod in den GULags. Darunter waren Generale, die schon 1918 im Bürgerkrieg bei
den "Weißen" gegen die Bolschewiken gekämpft hatten.
Divisionsgliederung: Die Jägerregimenter 738 und 750, das Artillerieregiment
668, je eine Aufklärungs- und Panzerjägerabteilung 118, ein Pionierbataillon,
Nachrichtenabteilung, Nachschubtruppe und das immer wieder bis auf einen Rest aufgeriebene
Feldersatzbataillon 668. Dies allein eine Geschichte wie die der letzten Goten.
Aus taktischen Gründen kämpften unsere Einheiten an vielen Fronten.
Als wir uns noch in Dalmatien der Partisanen zu erwehren versuchten, verblutete unser
JR 750 in den Stadtparks von Belgrad. Von den drei Abteilungen unseres AR 668 habe ich
niemals ein Geschütz der mittleren und schweren Artillerie gesehen. Die Batterien der
Gebirgsartillerie und Teile des JR 738 waren die eigentliche Kampftruppe, die bis zuletzt
in Dalmatien und der Herzegowina aushielt.
Warum waren wir eigentlich 1943 von Innsbruck nach Sarajewo in
Marsch gesetzt worden? War nicht nach dem Abfall Jugoslawiens von den Achsenmächten
(Staatsstreich des Generals Simovic am 27.3.1941) und nach dem sofort einsetzenden kurzen
deutschen Feldzug im April 1941 das Land besiegt gewesen und hätte Ruhe geben sollen?
Nicht so am Balkan. Zuviele Gegensätze und über allem der von Belgrad ausgehende
Traum vom Großserbenstaat. Im Kontrast dazu, auch konfessionell, die Kroaten, deren
Führer Stefan Radic schon 1928 in offener Kabinettsitzung ermordet worden war.
Jeder kennt den Großsegler dieses Namens vom Fernsehen, aber kaum einer die letzten
Worte seines Taufpaten: Nie wieder nach Belgrad! So entstand unter Ante Pavelic die bis
in den zweiten Weltkrieg hineinreichende unabhängige nationalradikale Kroatische
Ustaša-Bewegung.
Im Gegensatz dazu hatte sich im Gefolge des Aufstands der k.k. Marinesoldaten Anfang
Februar 1918 in der Bucht von Cattaro eine alles umreißende rote Bewegung gebildet mit
einer eigenen Oktoberrevolution. Sie gedieh ab 1919 als kommunistische Partei zur
Nationalen Front. Das Königshaus versuchte, diese Entwicklung zu beenden, verstärkte aber
nur den Druck der Massen, den Pakt mit Hitler und Mussolini zu stoppen. Die Linke gegen
die Rechte also. Nach dem Putsch setzten sich die Revoluzzer selbst ans Ruder und
schafften das Königshaus ab. Putzig genug, nicht nur Moskau, sondern auch das
Kriegsministerium Seiner Majestät in London halfen dabei. Es folgte der kurze, bald
verlorene Krieg gegen die Achsenmächte.
Als wir am Balkan eintrafen, gab es seit zwei Jahren nicht nur die zu uns haltende
Ustaša - Bewegung, sondern auch noch die anders gekleideten Tschetniks. Ihr Anführer,
Oberst Mihajlovic, träumte davon, den Sohn des 1934 in Marseille von einem Mazedonier
ermordeten jugoslawischen Königs Alexander daheim auf den Thron zu bringen. Der Thronerbe
hatte ihn aus dem Exil zu seinem Kriegsminister ernannt. Mit Titos Aufstieg als
Partisanenführer richtete sich sein Zorn nun gegen dessen rote Brigaden. Ein Kuddelmuddel.
Manchmal kämpften die Tschetniks gegen die Ustaša, manchmal beide zusammen gegen Tito.
Uns waren sie keine Hilfe, da sie vor Angst, von Partisanen ergriffen und massakriert zu
werden, im Ernstfall jedesmal die Beine in die Hand nahmen. Mihajlovic selbst fand unter
Tito den Tod als Kriegsverbrecher.
Zur Sicherung der deutschen Nachschubwege im besiegten Jugoslawien war bereits im Mai
1941 die 718. Sicherungsdivision aufgestellt worden. Auch ihr Kommandeur, Generalleutnant
Fortner, fiel 1947 Titos später Rache zum Opfer. Zu mehr als Stoßtruppeinsätzen unter
riesigen Opfern war die verzettelte Division von Sarajewo aus nicht fähig gewesen.
Zu diesen Löschtrupps, wo immer es gerade brannte, gehörten viele Ostpreußen und Schlesier,
vielleicht der slawischen Sprachkenntnisse wegen. Der überrest dieser Kampfgruppe wurde
zum Kern der 118. JD. Wir sollten ihn zu voller Divisionsstärke auffüllen. So voll, daß
mir als Funker laut HDV (Heeresdienstvorschrift) sogar ein Reitpferd und ein zweites zum
Transport des Funkgerätes zustand. Meine belachten Reitversuche sind schon in die
Literatur eingegangen.
Nach einem Vierteljahr Rekrutenzeit bei den Gebirgsjägern am Fuße der Innsbrucker
Nordkette rollten wir bald nach Ostern '43 im Zug nach Sarajewo. Meine Kameraden waren
Vorarlberger, Nord- und Südtiroler. An unserer schneidigen Uniform, Bergstiefel und
Keilhose, änderte sich nichts. Nur mußten wir uns traurig vom Edelweiß an der Mütze trennen
und an seiner Stelle einen Eichenlaubzweig annähen. Als Angehörige des Traditionsregiments
der Tiroler Kaiserjäger ging uns das damals gewaltig gegen den Strich.
Meinem Wunsch entsprechend, war ich zum Gebirgsfunker ausgebildet worden. Bei der
Infanterie waren Strippenzieher wichtiger. So wollte es mein Glück, daß wir Innsbrucker
Funker in Sarajewo dem in Hall in Tirol beheimateten Gebirgsartillerieregiment 668
zugeschlagen wurden. Eigentlich verdankte ich das meiner Fähigkeit, rasant schnell morsen
zu können. Die überlebenschancen stiegen. Statt aus vorderster Linie nach hinten
Fernsprechleitungen zu legen, würden wir zum übertragen der Feuerbefehle entweder in der
Feuerstellung sein oder als Gegenstelle zusammen mit einem Artillerieoffizier auf B-Stelle
oder VB, also einer Beobachtungstelle mit gutem überblick oder als Vorgeschobener
Beobachter unmittelbar bei der vorne kämpfenden Truppe.
In den folgenden 24 Monaten marschierten wir durch Bosnien, Montenegro, durch
Süddalmatien und über seine Inseln zur Herzegowina. Im Dezember 1944 sahen wir das heil
zurückgelassene Mostar zum letzten Mal, später auch das noch heile Sarajewo. An der
Syrmienfront erlebten wir über der Donau das auch noch heile Vukovar. Niemand ahnte, was
von diesen drei Städten nach dem nächsten Bürgerkrieg übrig bleiben würde. Als wir uns im
Herbst 1943 von Süden her Ragusa genähert hatten, dem heutigen Dubrovnik also, hatte unsere
schwerbeladene Karawane die Stadt hoch im Gebirge zu umgehen. Ein Heeresbefehl hatten den
Durchmarsch durch die Stadt untersagt. Die Anwesenheit deutscher Truppen könnte englische
Tiefflieger anlocken, die dann die historische Altstadt mit Bomben demolierten. Nun ja!
Als wir in Vukovar eintrafen, hatte der Russe gerade Belgrad
eingenommen, was einer Einkesselungsgefahr für uns alle am Balkan gleichkam. Die noch aus
Griechenland zurückflutenden deutschen Truppen sollten einen vor Flankenstößen gesicherten
Rückzug hinter die deutschen Linien haben. Deshalb standen wir ab Dezember an der
Donau.
Schlimmste Situation damals: Eine Sturmeinheit Russen war über den Strom bis zum Bahnhof
Vukovar vorgedrungen. Unsere hilfreichen Engel, wie so oft vorher und nachher, Angehörige
einer kampferprobten SS-Panzergrenadierdivision, warfen sie in Todesmut aus der
Stadt und über die Donau zurück. Es kam keiner lebend ans rettende andere Ufer.
Noch einmal mußten wir ein Loch stopfen, diesmal ab Januar '45
südlich vom Plattensee. Als aber kurz vor Ostern nördlich davon die Dämme brachen, weil
der Russe Wien erreicht hatte, zogen wir uns in die damalige Südsteiermark bei Luttenberg
zurück. Kaum irgendwo vorher fühlten wir uns so von den Russen bedrängt. Unser
Feldersatzbatallion verblutete in den Weinbergen bei Jeruzalem. Dort erreichte uns das
Kriegsende. Noch tagelang im Kampf gegen Titos Banditen, erreichten wir endlich das
Lavanttal in Kärnten.
über die kampfreichen Monate vom Plattensee zur Mur wurde von einem hohen
Offizier des österreichischen Bundesheeres, Brigadegeneral A.D. Paul Puntigam, ein
gleichnamiges Buch herausgegeben, das die Kampftage aus der Sicht der 18.
SS-Panzergrenadierdivision beschreibt. Teile dieser bis zuletzt aufs beste auch mit
schweren Waffen ausgerüsteten Einheit kämpften im Frühjahr 1945 immer in Nachbarschaft
zur 118. Jägerdivision und waren durch ihre überlegene Bewaffnung viele Male eine Art
Schutzengel für uns gegen die Russen. Bei so einer Gelegenheit habe ich zum ersten Mal
im Krieg einen richtigen deutschen Panzer im Einsatz gesehen - und die Panzerfahrer
vermutlich zum ersten Mal ein echtes italienisches Maultier!
Unsägliche eigene und fremde Erfahrungen aus diesen 24 Monaten hatten mich 60 Jahre
davon abgehalten, noch einmal jugoslawischen Boden zu betreten oder auch nur einem
Einwohner dieses Landes ins Gesicht zu sehen. äußere Umstände bewogen mich jedoch im Jahre
2003, noch einmal dorthin zurückzukehren. Ich war damals so jung, daß ich annehmen durfte,
die damaligen Sackabschneider wären längst unter der Erde. Mit meiner Frau zusammen bin
ich also noch einmal die ganze Strecke im eigenen Wagen abgefahren, wenn auch nicht immer
im selben zeitlichen Ablauf.
Ich habe anschließend über diese drei Wochen meine persönlichen Erfahrungen
niedergelegt. Dieser lange Bericht gehört nicht hierher. Andererseits bin ich beim Wühlen
in fremden Internetadressen immer wieder auf rührend anmutende Anfragen von jungen Leuten
gestoßen, die jetzt erst die Spurensuche nach ihren vermißten oder schweigsam gewordenen
Vätern und Großvätern aufgenommen haben, "weil Großvater niemals darüber sprechen wollte".
Nur zu verständlich. Hat doch weder Tito noch seine Nachfolger durch diesen barbarischen
Partisanenfeldzug etwas zum besseren gelenkt. Wozu all die Opfer!
Wer sich für den Erfahrungsbericht - wirklich auf vier Rädern
erfahren - interessiert, der kann nach einem Blick auf die alten und neuen Bilder am Ende
dieser Seite dorthin wechseln, alles runterladen oder ausdrucken und in Ruhe später lesen.
Natürlich kommt die Zeit auf zwei Beinen nicht zu kurz, ja, ist die Hauptsache dabei, und
beides ist eng miteinander verwoben. Gerade im Spiegelbild des Gestern und Heute liegt
vermutlich der Reiz. Soviel ich hörte, treffen sich immer noch die wenigen überlebenden
der Division hier und dort, aber mehr, als die überlebenden selbst, sind es wohl
Kaffeekränzchen der mit einem längeren Leben beschenkten Hinterbliebenen der damaligen
Kameraden. Es läßt sich nicht übersehen, daß viele Jahre seitdem vergangen sind. Wenige
Divisionsangehörige haben so wie ich jeden Tag in ihrem Notizbuch festgehalten. Was das
Zurückerinnern angeht, hat kaum einer noch Kraft und Lust, diese vergeudeten Jugendjahre
aufzuarbeiten.
Wer also jetzt über beide Reisen zusammengefaßt mehr wissen will, - die in zwei
Bergstiefeln und die auf vier Rädern -, hier steht zur Einstimmung eins unserer vier
modernen Geschütze feuerbereit. Nicht alle auf diesem Bild haben das Kriegsende erlebt.
Deshalb dieses Photo als Memento mori.